Die ab 1885 offiziell zugelassene Bildpostkarte erlangte in einer Zeit, in der es nur wenige andere populäre Bild- und Kommunikationsmedien gab, schnell große Verbreitung. Schon in der Vorkriegszeit als eines der ersten preiswerten Medien für hochwertige, auch farbige Abbildungen außerordentlich geschätzt, wurde sie mit Kriegsausbruch zugleich das wichtigste, millionenfach genutzte Kommunikationsmedium zwischen den Soldaten an der Front und ihren Angehörigen in der Heimat. Gleichzeitig wurde der Krieg als dominierendes Zeitereignis zu einem zentralen Thema der Bildproduktion.
Die vorliegende Edition enthält rund 1.000 Bildpostkarten aus dem Bestand des Deutschen Historischen Museums, Berlin, die den Ersten Weltkrieg aus deutscher Sicht darstellen.
Die thematisch geordnete Sammlung enthält Fotografien, Gemälde, Lithographien und Zeichnungen zu allen Themen des Krieges – von der Musterung über das Leben in der Etappe, das Kampfgeschehen an der Front und die Beziehungen der Soldaten zu ihren Angehörigen bis hin zur Anprangerung unnd Karikierung der Kriegsgegner und der Darstellung des Heldentodes. Die propagandistische Verharmlosung der Schrecken des Krieges steht dabei gleichwertig neben der vordergründigen Agitation, um nüchterne Dokumente handelt es sich bei den wenigsten Motiven.
Erschlossen werden die Postkarten durch eine Datenbank, durch eine Einführung in Geschichte und Bedeutung der Bildpostkarte und einen ausführlichen Kommentar der Motive von Katrin Kilian.
Die Edition beschränkt sich nicht auf die Wiedergabe der Bildmotive, sondern dokumentiert auch die Mitteilungen auf den Rückseiten der fast durchgehend benutzten Postkarten. Damit ist sie zugleich eine wertvolle Quelle zur Erforschung der privaten Kommunikation während des Ersten Weltkrieges.
Postkartenmotive. Während des Ersten Weltkrieges stellten für die Soldaten Briefe die einzige Möglichkeit dar, Kontakt mit ihren Angehörigen und Freunden zu halten. Beliebt war das Versenden von kurzen und knappen Nachrichten auf Postkarten. Der Soldat konnte sich aus einem breiten Angebot von Motivkarten inspirieren lassen, welche Karte er an wen versenden wollte. Das Kommunikationsangebot bot diverse Themen an und gab den handschriftlichen Inhalt der Mitteilung bereits vor. So konnte sich der Feldgraue bildlicher Aussagen bedienen, die bereits einen Gedanken trugen. Er machte sich diese Botschaften zu eigen und brauchte sie nur noch zu kommentierten. Ein Bild des Kaisers konnte der Soldat zum Beispiel für die Großeltern wählen, ein Portrait von sich selbst vom Kriegsfotografen für die Eltern als Postkarte anfertigen lassen, einen Geburtstagsgruß an die Schwester richten. Eine Karte etwa mit religiösem Motiv konnte er persiflieren und an seinen Freund im Lazarett absenden. Schließlich konnten noch etliche Karten mit romantischen Motiven für die Liebste gewählt werden, der der Soldat so häufig schrieb.
Postkarten sind Massenware. Sie dienen dem persönlichen Ausdruck. Durch die Auswahl einer bestimmten Karte aus einem breiten Angebot wird Individualität erlebt. Denn eine ganz spezielle Karte wird für einen bestimmten Zweck oder einen einzelnen Adressaten ausgesucht und mit einer persönlichen Nachricht ergänzt. Sie wird dadurch zum Ausdruck von Persönlichkeit und Individualität. Gleichzeitig demonstriert die Auswahl ästhetischer Produkte die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe mit einer vornehmlichen Mode. Geschmack und Stil sind individualitäts- und gruppenbildend. Dabei spielt die intendierte Wirkung auf andere eine entscheidende Rolle. Die Postkartenmotive bieten also gruppenkonforme Handlungsoptionen an, die durch das Hinzusetzen eines bestimmten Textes individualisiert werden können.
Ikonen. Das Konterfei des Kaisers stellt ein ikonografisches Bild dar: Es ist eine - bisweilen stilisierte - Abbildung einer Person oder eines Gegenstandes, das mit der konkreten Person oder dem Gegenstand, die oder den es darstellt, Ähnlichkeit aufweist. Den Kaiser erkannte man sofort an seinem Bart und seiner schmucken Uniform. Oft war auch die Kaiserkrone oder der Reichsadler zusätzlich abgebildet oder die Karte betitelt mit "Kaiser Wilhelm der Grosse".
Symbole. Die Motive auf den Karten für die Freundinnen und Frauen der Soldaten tragen hingegen eher Sinnbilder. Sie verweisen auf nichtmaterielle Dinge, zum Beispiel Emotionen wie Sehnsucht. Auf den Karten sind Gemütsbewegungen aber nicht nur im Bild dargestellt, sondern auch durch zusätzlich aufgedruckte Verse akzentuiert: "Liebend gedenk' ich Dein!". Symbole stehen stellvertretend für Ideen oder Gefühle, wie etwa das Herz als Zeichen für die Liebe, die sinkende Sonne als Symbol des Heldentodes auf dem Schlachtfeld. So stellen Bilder nicht nur Materie dar, sondern liefern auch Ansichten von Ansichten.
Allegorien erlauben die Verbildlichung eines abstrakten Begriffs oder Vorgangs, oft durch Verkörperung als Person, zum Beispiel "der Tod" als Sensenmann. Auf den Postkarten findet sich vor allem der einzelne, namenlose Soldat allegorisch für ein ganzes Heer oder eine bestimmte Schlacht. Die Waffengattungen sind in personifizierter Form dargestellt und zwar durch die Beschriftung der Kopfbedeckung einzelner Portraits von Rekruten, die hier stellvertretend für eine Waffenfarbe stehen. Im Gegensatz zum Symbol weist die Allegorie einen inhaltlichen Bezug zum Dargestellten auf.
Stereotypen. Vereinfachende, verallgemeinernde, schematisch dargestellte Erfahrungen, Meinungen oder Vorstellungen können auf Stereotypen reduziert werden. In der Gruppe 4.2. 1 bis 4.2.6. wird der Stereotyp des überlegenen, siegesgewissen und tapferen Soldaten hoch zu Ross hervorgehoben - ein nostalgisches Bild veralteter Kriegführung, das den technisierten Krieg romantisiert und verharmlost. Während des Ersten Weltkrieges hatten Infanterie und Artillerie eine wesentlich größere Bedeutung als die Kavallerie. Dennoch wird das Bild des Reiters aufrechterhalten. Festgefügte, für lange Zeit gleichbleibende, durch neue Erfahrungen kaum veränderbare, bewertende und emotional gefärbte Vorstellungen über Personen und Gruppen, Ereignisse oder Gegenstände werden durch die massenhafte und ständige Wiederholung entsprechender bildlicher Umsetzung verfestigt. Dabei wird häufig auf Leitbilder zurückgegriffen, die aus Religion, Mythologie oder Legenden bekannt sind, zum Beispiel "der Weise", "das Böse", "der Erlöser" oder eben "der Held" zu Pferde. Auf den Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg finden sich Stereotypen auch in der Personifizierung feindlicher Nationen. So wurden die Russen als stets betrunkene, ungewaschene und ungebildete Analphabeten karikiert, die in einem rückständigen und unterdrückten System lebten, das ein verlauster Zar anführte.
Die Fotografie ermöglichte die reale Darstellung des Einzelnen. So gab der Einzelne zwar der Masse ein Gesicht, erhielt allerdings durch die zahllose Vervielfältigung auf den Postkarten ein universales Antlitz, das eher einen Typen als ein Individuum mit eigener Persönlichkeit darstellt. Es wird zum Bildnis einer Epoche, es trägt die physigionomischen Züge einer Zeiterscheinung.
Zeichen und Bilder. Die Kommunikationspartner verfügen über einen Zeichenvorrat, der unter anderem aus Ikonen, Symbolen und Stereotypen besteht und mit dessen Hilfe sich diese materiellen und nichtmateriellen Gegenstände oder Themen darstellen lassen. Der Konsens über die bildlichen Zeichen ist Teil unserer Ausdrucksformen. Dabei drücken Bilder Botschaften anders aus als Wörter.
Eine wesentliche Absicht der Verwendung von Ikonen und Sinnbildern besteht in dem Versuch, den Betrachter von etwas - einer Idee oder einem Produkt - zu überzeugen. Dieser Werbecharakter ist besonders deutlich bei der Kopplung von Bildern an Konsumgüter oder Ideologien. Die Verharmlosung des Krieges etwa auf den Postkarten zu einem Abenteuer oder dessen Stilisierung zur vaterländischen Pflicht liefert ständig positive Argumente oder Sinnstiftung zur Animation, sich hinter die Werte und Ziele des Krieges zu stellen. Werbebilder funktionieren mit der Identifikation des Betrachters mit der entschlüsselten Botschaft des Bildes. Auch die Akzeptanz von Leit- und Vorbildern kann zu einer Identifikation von Werten und Normen führen.
Das Wort ist gegenüber dem Bild sachlich und lässt dem Leser oder Zuhörer gleichzeitig Spielraum zur Ausgestaltung. Wörter erlauben es, uns eine Vorstellung von dem zu machen, über das wir lesen. Die Abbildung hingegen stellt bereits eine Deutung von Gegenständen dar. Sie liefert uns die Ansicht einer Interpretation. Die nüchterne Parole "Durch Not und Tod zum Sieg!" hat Befehlscharakter. Sie findet eine weichere und an das Gefühl appellierende Interpretation auf den Postkarten etwa in den Bildmotiven über Not, Tod und Sieg.
Politische Ikonografie und Massenwaren. Die Ikonografie befasst sich mit der Form- und Inhaltsdeutung von Bildwerken. Abbildungen werden auf ihre Botschaften hin untersucht. Die politische Ikonografie beschäftigt sich speziell mit politischen Sachverhalten bildlicher Gegenstände. Symbole der Macht, politische Ansichten oder etwa Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen werden seit jeher in Gemälden, Zeremonien, Architektur, Kleiderordnungen und so weiter artikuliert. Mit der Industrialisierung erlangten sie durch technische Reproduzierbarkeit eine größere Verbreitung.
Der ikonografische Gebrauch von Zeichen hat nicht nur hinsichtlich der Themen des privaten Bereichs eine lange Tradition. Jahrhundertealte Erfahrungen der visuellen Inszenierung politischer Themen und Macht etwa können anhand der Kleidung einer eindrucksvollen Garde, prunkvollen Feiern, Paraden und Aufzügen, Architektur und Gärten, Statuen, Denkmälern und Medaillen, Wasserspielen und Feuerwerken im öffentlichen Raum nachgezeichnet werden. Der Stellenwert der Bilder und ihr politischer Gebrauch verlagerte sich im Verlauf der Entwicklung einer modernen Industriegesellschaft von einem lokalen Herrschaftskreis hin zu breiten Bevölkerungsschichten. Die Herausbildung einer Konsumgesellschaft und die Erreichbarkeit eines breiten Publikums durch die Innovation und Herstellung von Massenmedien, der unerschöpflichen Produktion von Individualmedien, wie sie Postkarten darstellen, sowie von Massenwaren jeglicher Art sind die wesentlichen Antriebsräder einer allgemeingültigen bildlich-visuellen Ausdrucksform, der Ikonografie. Auch politische Ideen konnten in großem Umfang über die neuen Konsumgüter übermittelt werden. Während des Krieges wurden zum Beispiel Parolen auf Postkarten vertrieben.
Anhand der Postkartenmotive zeigt sich, dass nicht nur durch diskursive Argumentationen die politische Meinungsbildung bestimmt, sondern dass sie auch mit Hilfe visueller Inszenierungen erzeugt werden sollte. In einer Gesellschaft, in der sich die Kommunikationsbedingungen etwa durch Massenproduktion, Rationalisierung, Schulbildung oder Alphabetisierung verändert haben, bediente sich auch die politische Agitation bestimmter Entwicklungen, so zum Beispiel der Foto- und Reproduktionstechnik. Plakate und Bildpostkarten wurden zu wichtigen Trägern politischer und produktorientierter Werbung. Die Gesellschaftsmitglieder wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Gruppe von Konsumenten von Waren, Kunst und Ideen. Die Bilder vermochten der unaussprechlichen, abstrakten Dialektik politischer Reden einen vereinfachten Ausdruck zu verleihen, der schnell und einfach auch vom Bürger jeglicher Herkunft und Schichtzugehörigkeit als Bedeutungsfelder erfasst und verstanden werden konnte.
Mit der Massenproduktion wandelte sich unter anderem der Kulturbegriff von einem elitären, privilegierten Objekt, welches auf Einzigartigkeit gleichsam Originalität beruht, hin zu einer zahlreich kopierten Ware. Auf den massenhaft hergestellten Postkarten werden kulturelle Leistungen übermittelt und als Produkte vermarktet. Dies wird deutlich bei der Verwendung von Gemälden auf Postkarten. Sie werden auf diesen Beispielen speziell für politisch-militärische Aussagen verwendet.
Gemeinschaft. Industrialisierung, Urbanisierung, Herausbildung einer breiten Arbeiterschicht und die Veränderung traditioneller Wertorientierung schien die herkömmliche Gesellschaftsordnung um die Jahrhundertwende aufzulösen, die auf formellen, verwandtschaftlichen Bindungen und organischen Beziehungen ruhte. An ihre Stelle traten mitunter situative, anonyme soziale Konstellationen. Über die Arbeit, Wohnverhältnisse, Bildung, Freizeit, funktionale Organisationen oder altersspezifische Interessen wurden flüchtige Bindungen hergestellt. Sie verlangten nach zusätzlicher Kommunikation. Durch die Zunahme von Alphabetisierung war es möglich, Kontakte über weitere Entfernungen schriftlich aufrechtzuerhalten. Schriftsprachliche Kommunikation erweitert so den Radius von sozialen Beziehungen. Die Postkarte ermöglichte hier kurze, knappe Mitteilungen. Eine schnelle Übermittlung erlaubte Spontanität.
Während des Krieges sind die Mitglieder einer bestimmten Gruppe, zum Beispiel einer Familie, in der Regel getrennt. Dies stellen auch die Postkarten dar. Rituelle Zeremonien festigen emotionale Bindungen. Auf den Karten 17.3.8., 17.3.10., 17.3.11., 17.3.13., 17.3.15., 17.4.2. wird zum Beispiel das Weihnachtsfest gedanktlich gemeinsam gefeiert, obwohl die Mitglieder der Familie räumlich getrennt sind: der Vater und Ehemann steht im Feld, während die Mutter und Ehefrau zuhause weilt.
Eine gemeinsame Sprache führt zu einer gemeinsamen Kultur, wie sie sich etwa in Moden und Zeitgeist spiegelt. In einer Gesellschaft oder Gesellschaftsgruppe markiert die Kenntnis über spezifische Ausdrucksformen, hierzu gehört auch die Bedeutung von Bildern und Zeichen, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wer sie nicht kennt, steht außen vor. Hierin liegt eine wichtige Funktion von Ritualen, etwa Gedenkfeiern. Nur wer um sie weiß und vielleicht sogar an ihnen partizipiert, gehört zur Gemeinschaft dazu. Dabei stellt Gemeinschaft eine elementare Sicherheitsfunktion menschlichen Seins dar. Bestimmte Slogans oder Parolen, Zeichen oder Symbole, Handlungen oder Mentalitäten markieren die Integration von Menschen in eine bestimmte Gruppierung oder Schicht. Bilder, Zeichen und Symbole haben also wie die gesprochene oder geschriebene Sprache eine integrative Funktion.
Wenn Gesellschaft und Kultur Abstraktionen von Individualität sind, dann stellen die Motive auf den Postkarten Abstraktionen von zeitgenössischen Mentalitäten dar. Dies bedeutet, dass sie nicht auf jeden zutreffen und dass sich nicht jeder damit identifiziert hat. Allein die Schwerfälligkeit der Massenproduktion, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, muss zu einer zeitverzögerten Aufnahme von allgemeinem Gedankengut führen. Die Zensur der Bilder seit 1917 schränkte zudem die Freiheit der Motivwahl ein. Und bereits vor 1917 mussten militärische Motive vom Generalstab freigegeben werden.
Medien und Konsum. Bildinformationen werden von Instanzen, die die Inhalte der Medien produzieren, hergestellt, bisweilen unter der Kontrolle politischer Vorgaben. Dennoch werden öffentliche Bilder auch von den Konsumenten geprägt, denn sie müssen ihren Erwartungen entsprechen, um akzeptiert zu werden. Die Akzeptanz bestimmter Motive beziehungsweise die Ablehnung anderer reguliert den Markt: Nur was gekauft wird, wird schließlich auch produziert. Im Rahmen einer großen Verbreitung bestimmt also der Konsument dieser Bilder mit, was an Ikonen und Symbolen akzeptiert und damit weiterhin gefertigt wird. In diesem Sinne sind die Bildpostkarten auch als Selbstbeschreibung einer Gesellschaft zu verstehen.
Der Produzent bietet Angebote zum Inhalt von Kommunikation durch die Postkarten an, aus dem der Postkartenschreiber auswählt. Die Postkarte besteht also aus zwei Aussageeinheiten: die eine ist geschaffen vom Hersteller der Postkarte und bezieht sich auf das Bildmotiv, die andere vom Schreiber, der mit seiner Handschrift und Unterschrift der Karte eine persönliche Note verleiht. Die Intention der Kommunikation ist wesentliches Kriterium für die Auswahl der passenden Karte. Es gibt also zwei Sender von zwei Botschaften: der Verleger, der das Motiv vorgibt und der Postkartenkonsument, der die Karte um eine handschriftliche Nachricht ergänzt.
Bilder und Konsum. Der Aspekt massenhafter Verbreitung von Bildern muss berücksichtigen, dass breite Schichten von Gesellschaftsmitgliedern unterschiedlicher Sozialisationen erreicht werden sollen. Die bildlich-ästhetische Wahrnehmung bietet einen breiten Interpretationsspielraum. Nicht jeder deutet die Motive oder Teilmotive in gleicher Weise und nicht jeder Betrachter stellt Bildteile in den selben Zusammenhang. Der Rückgriff auf bekannte Muster, Motive, Zeichen und Symbole gewährt eine hohe Wahrscheinlichkeit der vom Sender oder Produzenten gewünschten Dekodierung beim Betrachter. Allgemeingültige Bilder weisen dabei eine Gleichförmigkeit und Einfachheit auf. Der Wiedererkennungswert der verwerteten Bildteile spielt dabei eine große Rolle.
So produziert und reproduziert die populäre Ikonografie in modernen Kommunikationsmedien ein Bild- und Wiedererkennungswissen. Dabei wird nicht nur auf altbekannte Motive und Mythologien zurückgegriffen. Darüber hinaus werden wiedererkennbare Ikonen geschaffen und durch ständige Wiederholung verfestigt. Die Repetition ist dabei ein wesentliches Instrument, wiedererkennbare Motive einzuführen oder zu festigen, sie zu Erinnerungszeichen zu machen. Dabei kann die Erinnerung auch vage ausfallen. Da das Areal an Vergessenem einen weitaus größeren Raum einnimmt als das Erinnerte, müssen Zeichen, die erinnert werden sollen, ständig wiederholt werden. Das Erinnern versichert uns unseres Gedächtnisses. Allein das Wiedererkennen von Motiven führt unvermittelt zum Erfolgserlebnis "Erkennen".
Die ständige Wiederholung von Inhalten kann aber auch zur Untergrabung des analystischen Wahrnehmens führen. Unbewusste Wahrnehmung geschieht unbemerkt und umgeht so mitunter eine kognitive Abwägung. Das Bild des Kaisers wird unter Umständen ob seiner millionenfachen Reproduktion zum bildhaften Plausibilitätsargument für die Richtigkeit und Notwendigkeit seines Handelns, hierzu gehört auch der Krieg. Die Ikonen, die auf Subjekte wie den Kaiser oder einen Feldherrn Bezug nehmen, werden schließlich zur Personifikationen von Werten wie Sieg und Stärke, Recht und Macht, Fortschritt und Revolution, Herrschaft und Heroismus. Dabei ist die religiöse oder mythologische Verkleidung politischer und militärischer Personen oder Operationen ein besonderes Stilmittel der Postkartenkriegsbilder aus der Wilhelminischen Ära bis 1918. In der Sammlung des Deutschen Historischen Museums zeigt sich dies deutlich in der Themengruppe 20. Religiöse Motive, wo militärische Aktionen widerspruchslos neben religiösen Motiven stehen.
Bildmotive sind - wie alle sprachlichen Äußerungen - Konstrukte. Sie sind Verweis und Abbild. In dieser verweisenden Funktion werden die Bildnisse in erster Linie verwendet. Dabei ist der Stil, die Ausgestaltung, wie auf etwas hingewiesen wird, in eine konkrete, bildliche Vorstellung gefasst. Die dinghafte Ansicht lässt wenig Raum für eine andere bildliche Umsetzung des Verweises durch den Betrachter, denn die Abbildung gibt uns ein Bild von ihrer Aussage vor. Allerdings lässt die Rückseite der Postkarte Spielraum, die Bilder zu kommentieren oder sogar zu negieren. Aber auch das Bildmotiv selbst kann als Interpretation bereits eine Bewertung darstellen, wie es zum Beispiel in der Kriegspropaganda zum Ausdruck kommt.
Zeichen und Schriftzeichen. Die Wiederholung von Zeichen macht sie zur Konvention. Sie ist wichtig für die Orientierung im Umgang mit Zeichen. Je heterogener und anonymer das Publikum ist, wie im Falle eines Massenpublikums, desto konventioneller müssen die Zeichen und Signale sein, die verwendet werden, damit sie von möglichst vielen Mitgliedern des Publikums in der vom Absender gewünschten Weise verstanden werden. Das bedeutet aber nicht, dass sich Normen nicht verändern können. Wertewandel, neue Medien, Technisierung oder auch die Veränderung von Staatsformen modellieren die Verwendung und die Bedeutung von Motiven. Die Zeichen einer Sprache sind also wandelbar wie die Gesellschaft, von der sie genutzt und mitgestaltet wird.
Sprachliche Zeichen stellen keine Wirklichkeit dar, sondern Meinungen, Affinitäten, Sichtweisen oder Wahrnehmungen. Sie können aber Bezug nehmen auf das, was als Realität angenommen wird. Die Ähnlichkeit eines Bildes mit einem realen Gegenstand (Ikone) kann die Darstellung glaubwürdiger machen. Zu einer quasi-realistischen Darstellung hat die Entwicklung der Fotografie entscheidend beigetragen. Sie stellt zwar wirkliche Menschen dar, vermag jedoch nur einen Augenblick, einen Ausschnitt statisch festzuhalten. Das Bild kann nachträglich verändert, etwa spiegelbildlich oder retuschiert abgedruckt werden. So kann neben die Darstellung von Landsern das Abbild eines Jesus Christus montiert werden. Auf diese Weise wird die Ein-Bildung der Erscheinung des Heilandes neben den wahrhaftigen Soldaten konkret bildhaft und vorstellbar. Sachverhalte können auf diese Weise plausibel und nachvollziehbar erscheinen, die bei rationaler Überlegung unwahrscheinlich sind. Die Täuschung etwa durch eine nachträgliche Montage kann dabei zwar als künstlich hergestellte und unrealistische Collage erkannt werden, kann aber etwa als Sinnbild oder Metapher einen Mehrwert über das faktisch Dargestellte erlangen. Die Ansichten auf den Karten erheben keinen Einspruch gegen die Vorstellungen, Träume und Wünsche des Betrachters, sondern liefern ihm Bilder.
Kunst und Kunstauffassungen sind erlernt und kulturell vererbt. Auch das Erkennen von Bildern muss erlernt werden, wie der Erwerb eines Alphabets. Nicht nur das Vokabular muss eingeprägt werden, sondern auch die Grammatik, also die Anordnung der Zeichen und ihre Bezüge zueinander. Etwa die Darstellung des Eichenlaubes oder des Eisernern Kreuzes auf Ostergrußkarten sind Insignien des Krieges und verweisen auf militärische Auszeichnungen. Sie künden von Tapferkeit, vielleicht auch von Siegesgewissheit. Bilder gehören somit zum Repertoire unserer Schriftzeichen. Ästhetische oder künstlerische Werte und Normen oder Bedeutungen von Zeichen unterliegen Veränderungen.
Ein wesentlicher Deutungsrahmen für Bilder ist deren Kontext. Zu diesem Kontext gehört die Zeit, in der das Bild erstellt, publiziert und betrachtet wird. Die Bewertung und der Informationsgehalt einer Abbildung verändert sich mitunter. Emotionale Bilder können ihren Reiz verlieren, je öfter man sie sieht. Sie können ihn aber auch im Laufe der Zeit verstärken, wenn etwa nostalgische Attraktivität hinzukommt. Möglicherweise verblasst die Kriegsbegeisterung auf den Postkarten an die Großeltern mit zunehmendem Kriegseinsatz und Entbehrungen. Andererseits kann sie, holt man die Karten Jahre später aus der Schublade, idealisiert werden. Politische Darstellungen werden mitunter später anders interpretiert als ehemals. Die Sichtweise hängt von der Situation ab, in der sich der Betrachter befindet. Je nachdem, wie viele Informationen er hat, über welche Sozialisation und kulturellen beziehungsweise gesellschaftlichen Hintergrund er verfügt, schließlich seine Verfassung bei der Aufnahme eines Bildes führen zu dessen Aufnahme, Akzeptanz oder Ablehnung. Wir betrachten heute - nachdem wir wissen, wie der Erste Weltkrieg ausgegangen ist, wie sich die Weimarer Republik gestaltet hat, wie es zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg kam und wie auch dieser ausgegangen ist, nachdem wir Kenntnis haben über die Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland und den Fall der Berliner Mauer erlebt haben - die Motive der Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg anders als die zeitgenössischen Betrachter, weil wir ein Wissen besitzen, das damals nicht verfügbar sein konnte.
Der Gehalt von Schriftzeichen altert, wenn er seinen Bezug verliert. So erschließt sich vielleicht heute die Bedeutung des Eichenlaubes auf der Grußkarte nicht jedem unmittelbar. Für den einen mag es ein unbedeutendes, florales Muster sein, das vielleicht die Jahreszeit angibt. Für den anderen ist es, verknüpft mit militärischen Ehren, Sinnbild von Freiheit und Kraft. Durch den Verlust von Bedeutung oder Lesbarkeit von Zeichen geraten sie mitunter in Vergessenheit oder werden anachronistisch. Deutlich wird dies zum Beispiel an der Knotenschrift der Inkas, die bis heute nicht vollständig entschlüsselt ist. Eines gilt dennoch für alle Zeichen gleichermaßen: sie demonstrieren eine Kommunikationsabsicht.
Die Botschaften auf den Postkarten haben ihre Aktualität eingebüßt. Die Sachverhalte der Kommunikationspartner sind geklärt, die Grüße übermittelt. Ihre Nutzungsspuren sind verblasst. Unzählige Karten sind in Nachlässen verschütt gegangen oder verkauft worden. Ihre Bedeutung ist erst spät erkannt worden. Als Sammlungsobjekte öffentlicher Institutionen wie des Deutschen Historischen Museums erhalten die Postkarten der Sammlung Hey eine zusätzliche Bedeutung: sie sind Kommunikationszeugnisse aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.