Feldpost im Zweiten Weltkrieg
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Brief Nr. 12 Saalfeld, d. 4.1.45
Mein über alles geliebter, guter Werni!
Heute will ich Dir nun wieder einen ganz lieben langen Brief auf der Maschine schreiben und Dir wieder von allem ausführlich berichten; denn seit Sylvester Mittag konnte ich Dir erst einen kleinen Brief senden, wo auch unsere Eltern Dir noch einen lieben Gruß mitsandten. Nun sitze ich wieder hier in Saalfeld und es ist derselbe graue Alltag. Die Tage in Berlin waren für mich trotz des einen schweren Angriffs doch wieder sehr schön. Am Sylvestertag gingen wir nach dem Essen in die Kirche, wo Pfarrer Nebel wieder einen sehr schönen Gottesdienst abhielt. Wenn ich ständig in Berlin wäre, würde ich immer zu Nebel zum Gottesdienst gehen. Es war ein kalter, sehr stürmischer Tag und von der Kirche aus ging jeder zu sich nach Hause. Schützes kamen abends zu uns und wir hatten gerade Abendbrot gegessen, als die Sirene ging, gleich Vollalarm. Das ging von ½ 7 - ¾ 8 Uhr; es waren ja "nur" schnelle Kampfflugzeuge. Der Angriff war nicht von Pappe. Die S-Bahn war von Westend bis Beusselstr., dann die Strecke nach Siemensstade und nach Spandau gesperrt. Mir hat es jedenfalls wieder gereicht; aber wir hatten alle Glück. Nach dem Angriff hatte ich doch keine Ruhe u. wollte mal sehen, ob bei uns oben u. Deinen Eltern alles in Ordnung ist. In meiner Wohnung war nur etwas Kalk heruntergefallen, den ich gleich auffegte. Ich sprach mit Simns u. Frau Meininger kurz. Die Scheiben waren in unserem Hause alle ganz. Unterwegs hatte ich schon ein Ehepaar gefragt, die von der Haeselerstr. kamen, ob dort oben alles in Ordnung wäre, was sie mir bejahten u. so ging ich wieder zurück; denn dauernd erfolgten noch Detonationen, da wieder viel Zeitzünder geworfen sein müssen. Sogar in der zweiten Nacht darauf fielen wir einmal bald laus dem Bett, so ein Knall erfolgte. Wir blieben dann auch auf; denn gleich nach dem Angriff hätte man doch nicht schlafen können und hörten auch den Führer noch sprechen. Am Neujahrstag sollten Deine Eltern dann zu uns kommen und wir wollten gemütlich beisammen sein; aber leider kam alles anders. Vormittags kam Dein Vater zu uns und sagte uns, daß in ihrer Wohnung Scheiben u. Türen entzwei wären u. mein Vater sollte doch helfen kommen. Herr Schaffroth erklärte sich auch zum Helfen bereit. Wir aßen Mittag und was soll ich Dir sagen, da gibt es doch schon wieder Vollalarm u. hinein in den Keller. Wir gingen beide Male zum Entbindungsheim hinüber, wo man immerhin etwas angenehmer in einem schmalen Gang sitzt u. nicht alles so deutlich hört wie im Pulsstift selbst. Diesmal hatte Berlin auch Glück; denn trotzdem viele schwere Verbände unterwegs waren, blieben wir verschont. Unser Mittag aßen wir dann kalt auf; aber der ganze Tag war auch dadurch wieder zerstört. Um 3 Uhr gingen wir Drei dann zu Deinen Eltern und die beiden Männer schafften es gerade so bis 6 Uhr. Zwischendurch sah ich mir den Schaden an der Ecke Soor- u. Haes. Str. an. Das kleine Chauffeurhäuschen ist nur noch ein Staubhaufen u. beide großen Eckhäuser u. auch noch daneben sind vollkommen durchwehrt, obgleich sie ja noch stehen. Auch der Holzzaun auf der rechten Seite der Gottfried-Keller Str. ist vollkommen in seine Bestandteile aufgelöst u. auch die kleine nette Villa dahinter steht nur noch mit den Wänden da. In unserer Lindenallee ist auch das ganze Dach entzwei, alle Türen u. Fenster heraus, wie wir heute von Frau Dientrich hörten, die heute von Berlin zurückgekommen ist. Abends um 6 Uhr war dann schon wieder Luftgefahr u. wir eilten nach Hause. Herrn Schaffroth mußte ich unterfassen, da er doch ein steifes Bein hat u. dazu noch Schnee lag; denn vor Syslvester schneite es ganz schön in Berlin. Aber sonst war herrliches Winterwetter. Na, wir kamen gut nach Hause u. es gab keinen Alarm. Am Neujahrsabend war ich dann mit meinen Eltern allein u. am 2.1. hieß es schon wieder abfahren. Dadurch war der Neujahrstag nur mit Unruhe und Arbeit erfüllt; aber man kann ja immer dankbar sein, wenn man derartige Angriffe gesund übersteht. Kanalstr. u. Rich.Wagner-Platz sind auch wieder Bomben heruntergekommen u. nach 2 Tagen gaben die Leute, die im Keller eingeschlossen waren noch Zeichen, ohne daß man herankam. Ist das nicht ein Jammer? Übrigens sind Ecke Christ- u. Dankelmannstr. weitere 2 Ecken vollkommen heruntergehauen von Bomben, so daß dort nur noch die Ecke von dem Buttergeschäft ganz ist. Die Bomben sind bei dem Angriff gefallen, den wir beide in unserem Keller mitgemacht haben, mein lieber Werni. Am 2.1. ging ich dann noch einmal zu meinem Schuster, der mir einen schönen Ledergürtel vermacht hat u. ihn mir blau färbt. Doch das schrieb ich Dir wohl schon. Auch die aufgerufenen Stümpfe bekam ich in Berlin Wir aßen dann Mittag, meine Mutter kochte uns einen schönen Erbseneintopf. Dann wollten wir zu Deinen Eltern noch einmal hinaufgehen, wie ich gesagt hatte u. wir kommen bis zur Ecke Spandauer Str., als sie uns schon entgegenkamen. Wir gingen dann alle in meine Wohnung, denn umgehen wollte ich nicht noch einmal u. Zeit war auch nur noch 1 Std. von uns nehme ich mir noch unseren Tuschkasten mit für eine evtl. freie Stunde hier in Saalfeld. Frau Schütze hatte mir auch noch ein paar Zwiebeln u. Kekse geschenkt. Sie sind ja immer sehr nett zu mir. Um 4 Uhr gingen wir dann alle und ich fuhr wieder ab von Westend. Das Wegfahren ist immer nicht schön und hoffentlich kommt recht bald der Tag, wo wir beide auch wieder für immer in Berlin sein können, mein lieber Werni. Mein Vater wollte noch einmal zu Deinen Eltern gehen, um ihnen am Fenster noch eine Leiste anzubringen und so hatten ja Deine Eltern nun Gott sei Dank auch wieder alles in Ordnung.
Als ich zum Anh. Bahnhof kam, standen unheimlich viel Menschen an der Fahrkartenausgabe u. ich dachte gerade, daß es um 2.1. schon nicht mehr so schlimm wäre. Aber ich hatte wieder mal Glück; denn ich konnte den Fronturlauberzug nach Augsburg benutzen, der 17 Uhr 36 ab Anh. Bahnhof fuhr, wo ich , allerdings in der 3. Kl. einen Eckplatz bekam; denn 2. Kl. war bereits alles besetzt. Aber da wir im 1. Wagen hinter der Lok waren, war es herrlich warm, bald zu sehr, aber nur bis Weissenfels; denn nachdem 1 elektrische Lok. am Zug war, wurde nicht mehr geheizt. Aber ich hatte mein Ziel ja bald erreicht. Als wir in Jüterbog waren, hörten wir die Sirene u. ich dachte mir gleich, na, die Flieger werden doch sicher wie nach Berlin sein. Am nächsten Tag hörte ich es auch im Wehrmachtbericht u. war wieder sehr unruhig. Ich meldete ein Gespräch an Simons nachmittag an, als wir plötzlich einen Anruf aus unserer Lindenallee bekamen, wo ich mich erkundigen konnte, ob der Angriff auch wieder Charlottenburg galt, was mir aber verneint wurde. Sie sollen hauptsächlich in Neukölln gewesen sein. Das beruhigte mich ja wieder u. ich meldet mein Gespräch wieder ab. Hoffentlich erhalte ich von unseren Eltern nun recht bald wieder liebe Post. In Saalfeld war ich dann um ½ 12 Uhr bereits u. um 12 Uhr bereits in meinem Zimmer, so daß das eine sehr gute Verbindung ist mit dem SFR.
Zu Haus fand ich zu meiner großen Freude einen lieben von Dir, Du, mein großes Glück, vor, und zwar Nr. 7 v. 25.12./26.12., womit Du mich ja wieder so unendlich glücklich gemacht hast. Bei meinen Eltern hatte ich ja auch schon Deinen lieben Brief an sie v. 27.12. gelesen. Ausserdem lag die Paketkarte auf dem Schreibtisch, saß ich von meinem Werni ein Wertpaket abholen könnte. Ferner hatte ich einen Brief von Rockstrohs, den ersten, nachdem wir im Urlaub bei ihnen waren. Sie hatten wieder alle Fenster u. Türen etc. heraus; aber Arthur hat mir vielen Mühen u. Künsten wieder Glas organisiert u. sich selbst wieder überall Scheiben eingesetzt denn so gibt es kein Glas mehr. Er ist ja darin wirklich unverwüstlich. So geht es ihm gut. Frau Nic. schrieb mir auch zum neuen Jahr. Diesmal habe ich sie garnicht besucht. Ach, man kann ja nicht immer zu allen gehen. Von Berlin aus habe ich noch mit Tante Auguste u. Erna telefoniert, die am Neujahrstag auch wegen der S-Bahnsperre nicht kommen konnten; denn diese wurde erst am Neujahrstag abends aufgehoben. Außerdem riefen wir Tante Lenchen und Frieda an, die [...]
Ein zuckersüßes Küßchen!
Deine Herti